Der „Reformprozess in Portugal“ – ein Weg finanzieller und produktiver Schieflage
Gemessen an seinem Bruttoinlandsprodukt liegt Portugal an der 19. Stelle im Ranking der EU-Staaten. Und natürlich ist auch an diesem Land die aktuelle internationale Krise nicht spurlos vorübergegangen, im Gegenteil: Portugal wird immer wieder genannt, wenn es um die Frage geht, bei welchen EU-Mitgliedern der Staatshaushalt möglicherweise „auf der Kippe“ steht.
Die Krise hat Portugal seit mindestens 2009 fest im Griff, auch wenn die EU und ihre Troika von „wesentlichen Fortschritten“ sprechen und Portugal eine gangbare Zukunft bescheinigen. Die EU fordert aufgrund ihrer Finanzhilfen „einen tragfähigen Kurs“, um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu errreichen. „Nach Irland und Spanien ist Portugal das dritte Land, das sein Hilfsprogramm erfolgreich beendet hat und sich wieder eigenständig am Kapitalmarkt finanziert.“ (BMF/Web/DE/Service/Monatsbericht vom 19.12.2014)
Der Reformweg ist nicht abgeschlossen, sondern wird noch Jahre fortdauern und die staatlich verordnete Haushaltskonsolidierung wird durch vereinbarte Strukturreformen fortgesetzt. Dass diese Strukturreformen die kurze Periode „individuellen Aufstiegs“ eines großen Teils der Gesellschaft zunichte gemacht hat, ist offensichtlich.
Vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise hatte Portugal etwa ein Jahrzehnt ein schwaches Wirtschaftswachstum erlebt, dass für die Mehrheit der Bevölkerung zum ersten Mal „fühlbar“ werden ließ, dass „es aufwärts geht“ und man sich – im Gegensatz zu früher – „etwas leisten konnte“. Größeres Wohneigentum, die eigene Waschmaschine und allem voran ein Auto verschleierten.
Eine dieser „Randnotizen“ ist, dass in der Zeit des Aufschwungs viele Portugiesen stärker auf ihre Gesundheit achten konnten, zeigt sich u.a. daran, dass sie sich Zahnersatz leisten konnten, überhaupt gesundheitliche Vorsorge vornehmen konnten, was nunmehr wieder stärker vernachlässigt werden muss.
Da jedoch die geringe Produktivität blieb, ging die viel zitierte „Party“ des rasanten Aufschwungs, wie ihn beispielsweise Irland und zum Teil auch Spanien vor einem herben Abschwung erlebten, rasch zu Ende und war in Portugal ohnehin wesentlich geringer ausgefallen. So war das Wachstumspotenzial mit einer nachlassender Wettbewerbsfähigkeit und tiefgreifenden strukturellen Hemmnissen stetig gesunken, was die einsetzende weltweite Krise besonders schmerzhaft werden ließ.
Zudem nahm die Auslandsverschuldung Portugals weiter zu, so dass ab 2009 mit der erwähnten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise das Haushaltsdefizit und die Staatsverschuldung den europäisch vereinbarten Rahmen sprengte. Das führte dann auch dazu, dass das Vertrauen aus- wie inländischer Investoren schwand, Risikoaufschläge auf portugiesische Staatspapiere hingegen steigen und so eine eine tragbare Kapitalmarktfinanzierung fehlte.
Portugal musste unter den sog. „Rettungsschirm“ schlüpfen und im Mai 2011 ein dreijähriges makroökonomisches Anpassungsprogramm (Hilfen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und des Internationalen Währungsfonds (IWF)) von 78 Mrd. € in Anspruch nehmen, wovon Portugal 75,4 Mrd. € abrief.
Die Troika (Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF, Vertreter (nicht gewählt oder durch eine Kommission kontrolliert) hat eine Reformagenda ausgehandelt. Das Programm hatte und hat es zum Ziel, „den Staatshaushalt dauerhaft zu sanieren, den Finanzsektor zu stabilisieren und über strukturelle Reformen das Wachstumspotenzial zu stärken“. Im Frühsommer 2014 hat Portugal dieses Programm beenden können und die Repression vorerst abstreifen können.
Seit 2013 wird von einen Wirtschaftswachstum von 0,9 % ausgegangen (BMF 2014). Konsum und Investitionen im Privatsektor wachsen angeblich, erreicht durch eine Mischung aus Effizienzverbesserungen und Lohnzurückhaltung. Die Menschen hier erzählen anderes und empfinden anderes.
„Die Exportquote des Landes ist von 28 % des BIP im Jahr 2009 auf rund 40 % im Jahr 2014 gestiegen. Die Ausfuhren nach Deutschland, dem weltweit zweitgrößten Abnehmer portugiesischer Warenexporte, wuchsen ebenso wie etwa jene in die sprachverwandten Länder Angola, Brasilien und Mosambik.“ (BMF/Web/DE/Service/Monatsbericht vom 19.12.2014)
„U. a. die deutsche Automobilindustrie einschließlich ihrer Zulieferbetriebe sehr präsent und trägt zum Export des Landes bei. Wesentlicher Treiber der Dienstleistungsexporte Portugals ist der Tourismus.
Der Aufschwung zeigt sich inzwischen, so die offiziellen Statistiken, auch am Arbeitsmarkt. Die Beschäftigung steigt. Mit einem Durchschnittswert von 14,5 % für 2014 ist die Arbeitslosenquote zwar noch immer sehr hoch, liegt aber bereits 2 Prozentpunkte niedriger als noch im vergangenen Jahr (die Jugendarbeitslosigkeit ist noch erschreckend hoch, mit derzeit 32,2 %. (BMF/Web/DE/Service/Monatsbericht vom 19.12.2014) Erreicht wurde dies durch die Senkung der Staatsausgaben, vor allem durch Stellenabbau im Öffentlichen Dienst (Bildung, Gesundheit etc.) und einer erheblichen Kürzung der Gehälter, der Pensionen und der Ausweitung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden. Urlaubs- und Feiertage wurden gleichfalls reduziert. Das haben die Portugiesen fast widerspruchslos hingenommen, große Demonstrationen und Aufrufe zum Generalstreik finden auch noch heute (demnächst im Juni 2015) fast nur in Lissabon statt. In den ländlichen Regionen mit überwiegend landwirtschaftlicher und touristischer Wirtschaftsgrundlage wurde und wird kaum protestiert.
