Vor ca. 60 Jahren noch unter der Salazar-Diktatur entstanden Pläne im Nordosten des Alentejo eine große Talsperre Barrage de Alqueva zu bauen. Ziel war es, die dortige trockene Region zwischen den beiden Flüssen Rio Guadiana und Rio de Godelim und weiterer kleinerer Zuflüsse landwirtschaftlich zu entwickeln und gleichzeitig einen großen Teil der Elektrizität so zu gewinnen. Dass damit Dörfer, Orte und Städtchen „absaufen“ würden, wurde billigend in Kauf genommen. Das Prokejt konnte jedoch erst realisiert werden, als Portugal schon länger Mitglied der EU war und endlich genügend Geld floss. Inzwischen hatte sich das Land weiterentwickelt und die landwirtschaftliche Produktion steckte in einer Krise, wie auch sonst überall in Europa einem harten Konkurrenzdruck ausgesetzt. Dennoch, geplant ist geplant, projektiert ist projektiert. Das Projekt ist mit vielen Versprechungen über bessere Lebensbedingungen gestartet, bis der Baugesellschaft das Geld ausging und vieles inmitten gut gemeinter Ideen steckenblieb.
Seit 12 Jahren ist der See nun geflutet, am Schluss musste alles schneller gehen als vorgesehen, denn es standen mal wieder Wahlen an und die Furcht des Regionalpolitikers nicht zu gewinnen, was womöglich bedeutet hätte, dass das Projekt „gestorben“ wäre, machte das vorgezogene Fluten notwendig. Wenn das Wasser erst einmal läuft, gibt es kein zurück.
Die Struktur erhalten, der Raum überdimensioniert und tot
Wie erging es den Menschen, die ihre Heimat verloren und wie geht es ihnen heute?
Der neue Ort Luz, in seiner Struktur exakt aufgebaut, wie das alte Luz, ist ein Produkt Schweizer und portugiesischer Architelten. Sie haben angeblich die Wünsche der Bewohner an ihr neues Zuhause gesammelt und „so weit“ möglich, umgesetzt. Alle Häuser wurden „klassifiziert“, so dass die Familien „ihren Standard“ wieder erhielten. Da aber schon seit 1995 Baustopp für das alte Luz verfügt war, mussten die jungen Familien, die nicht mit den Eltern oder Schwiegereltern unter einem Dach leben wollen, den Heimatort oder gar die Region verlassen. Zurück blieben wie immer die Alten und wenige, die noch von der Landwirtschaft lebten und leben können.
Ema, Soziologin, hier an der Hochschule veranwortlich für touristische Fragen, ist gerufen worden, um das schwierige Verhältnis zwischen dem neu entstandenen Heimatmuseum und den Bewohnern von Luz „zu verbessern“, eine gute Gelegenheit auch einen ‚fremden‘ Blick auf den Freiraum und die Umgebung zu werfen, denn Emas und Antonios (Fotograph) Eindruck ihres ersten Besuches war, dass es ein totes Dorf ist, ganz ohne Grün.
Und der Schildbürgerstreich schlechthin ist, dass die Ex-Bürger von Luz noch heute für abgerissene und geflutete Häuser, für überschwemmtes Land Steuern zu zahlen haben. Wieso machen sie das?
Andere, wie die großen Supermarktketten mit Ausnahme von Intermarché hingegen schaffen es, die Kommunen zu erpressen und keine Steuern zu zahlen. Was für ein System. Und als Randnotiz: nur Intermarché erlaubt den einzelnen Filialen das Kaufen regionaler Produkte, alle anderen lassen zentral einkaufen. Und wir reden über Regionalentwicklung, geschlossene Wirtschaftskreisläufe und gute, qualitätvolle Nahrungsmittel!
Die ersten Eindrücke und Ideen nach einem sehr heißen schattenlosen Rundgang.
Die Architekten haben auf dem „Papier“ gearbeitet, ohne die Topographie der Umgebung und des Geländes ausreichend zu beachten. Das alte Dorf war „eingebettet“ in ein Tälchen, umgeben von sanfter Reliefierung ( so der Eindruck von den Fotos). Dieser Fehler bewirkt ein „zur Schau stellen“ des Neuen, verstärkt durch die Forscher und Jounalisten, die über viele Jahre wissen wollen, wie es den alten Bürgern in ihrer neuen Umgebung ergeht und gefällt. Und da sie keine Forschungsobjete sein wollen, reagieren sie inzwischen verständlicherweise zugeknöpft und abweisend. Und sie wollen auch nichts mit den Museumsleuten zu tun haben, von denen keine Unterstützung und keine frischen Ideen kommen.
Die Differenziertheit der alten Häuserstruktur ist nicht aufgenommen worden (verschiedene Dachhöhen, unterschiedlicher Stand der Fassaden zur Straße, andere Fenster- und Türanschläge, …), so dass der Eindruck neuer Monotonie nicht vermieden wurde. Der Straßenraum ist weit überdimensioniert. Die Straßen sind fast so breit wie in Lissabon, die Bürgersteige in jedem Fall. Das ist für ein Dorf mit aktuell 300 bis 350 Einwohnern nicht die richtige Dimension. Besser und neu wäre ein Konzept des „shared space“, alle Verkehrsteilnehmer teilen den Freiraum und nehmen aufeinander Rücksicht. Das würde Platz freimachen für eine konsequente Grünstruktur im Ort (Baumreihen, Alleen, Hecken), für die die Bewohner unter Anleitung (?) langfristig die Verantwortung und Pflege übernehmen können und vielleicht auch wollen. Damit könnte möglicherweise auch eine neue Gesprächskultur wachsen.
Fotos des alten Dorfes und der Hausstrukturen, die nicht so wieder hergestellt worden ist
Die Gartenbesitzer, die es ja schon gibt, mit ihren üppigen und schönen Gärten hätten vielleicht sogar an einem Tag im Jahr durch das „offene Tor“ Spaß daran ihre „Schätze“ zu zeigen und andere zu begeistern. Vielleicht gibt es sogar einen Kaffee im Garen oder eine selbst gegrillte Sardine.
Der Stolz der Gärtner ist bei so viel Üppigkeit unübersehbar. Der alte Herr erzählt über seine Arbeit in Augsburg und verschenkt volle Arme reifer Zitronen.
Der weiter vorhandene reichlich bemessene öffentliche Raum braucht andere und neue Funktionen. welche dies sein könnten, ist mit den Bewohnern und ihren Wünschen und Vorstellungen gemeinsam zu entwickeln. Dieser Prozess Bedarf de Zeit und kann zwischen zwei und fünf Jahre in Anspruch nehmen. Dann aber, wenn alle beteiligt sind, wenn alle mit den Veränderungen mitgehen, besteht die Chance der Realisierung, der Akzeptanz und der gemeinsamen Umsetzung.
Das Museum ist ein Apendix, kein Teil von Luz. Ein Miteinander zu entwickeln – nach Langer Zeit gegenseitiger Ignoranz oder gar Abneigung, wird es für beide Seiten schwer sein, Vertrauen zu gewinnen.
Vielleicht ist ein Ansatzpunkt, die existierenden Vereine und Organisationen und ihre Zielsetzung zu ermitteln und prüfen, ob diese für ein Zusammenwirken mit Freiraum, sozialem Leben, Handwerk, Tradition und Gemeinschaft wichtig sein können. Denn die alten Techniken der bäuerlichen Kultur, wie Käse machen, Fischen gehen, die traditionellen Gerichte und die im Dorf gekannten Spezialitäten (wir haben als Tapas am Mittag gekochten Schweinebauch und dicke Bohnen gesehen und vor allem gerochen), kenne weder die Schulkinder noch die wenigen Touristen, die dort stranden. Die gibt es, denn es existiert ein Wohnmobilplatz und wir erfahren, dass es Gäste gibt, die immer wieder kommen. Noch kennen wir ihre Motive nicht.
Dass es in Luz von eine Schule gibt, eine Grund- und sogar eine weiter führende Schule, kann ein weiterer Ansatz für eine neue Zusammenarbeit werden, zumal die Bürgermeisterin dem Ganzen positiv gegenüber steht, auch wenn es der einzige Ort des Alentejo ist, der konservativ wählt und sich so gegen die „anderen Interessen“ behaupten muss.
Antonio hat noch viele Fotos der Region vor der Flutung, von den Menschen und auch aus den anderen Orten, die betroffen waren und sind.
Auf der Rückfahrt Spinnen und träumen wir von einem gemeinsamen studentischen Workshop von Anthropologen und Landschaftsachitekten, wenn wir Deutsche dafür Geld auftreiben können. Vielleicht haben Peter und ich dann noch einmal eine gemeinsame Chance?
Mehrere Wege sind denkbar:
- Fotoprojekt von Antonio mit den Bewohnern, historischen Fotos, neuen Erfahrungen der Bewohner,
- Alte Handwerkstechniken neu entdecken (Käse u.a. herstellen, Fischen gehen, …, mit den Kindern der Schule und später für die Touristen) und diese im Museum zeigen und ausstellen
- Oral history – erlebte Geschichte: erzählt von den „Alten“, aufgeschrieben von den Jungen,
- Das Dorf ergrünt, Biodiversität ist nicht nur „draußen“,
- Shared Space – Modellprojekt in Portugal,
- Eine bessere räumliche Anbindung des Museums an den Ort durch eine andere grüne Struktur,
- …
Das Museum von Luz
Es bedarf einer neuen Museumspädagogik, indem es die Bewohner von Luz nicht als Ausstellungsstücke betrachtet, sondern Konzepte mit ihnen gemeinsam erarbeitet und Altes mit Neuem koppelt. Zudem fehlt bislang eine Auseinandersetzung mit dem Projekt „Stausee“:
- sehr alte Planung, Zielsetzung für heute prüfen, Änderungen der Lebensverhältnisse der ländlichen Bevölkerung, Sinnhaftigkeit, …
- Klärung an welche Zielgruppen sich das Museum wenden will,
- Herausfinden, was Luz zu etwas Besonderem macht und ein Gesamtkonzept entwickeln, dass die anderen von der Talsperre „betroffenen“ Orte mit einbindet, um daraus Angebote für Touristen zu entwerfen und gemeinsam zu vermarkten.
Ein tolles Thema für einen internationalen Workshop “ Luz 2020″ und vielleicht eine Chance für Peter und mich, das zusammen zu stemmen, wenn wir es schaffen, dafür Geld zu organisieren.
Literatur: Wateau, Fabienne: Querem Fazer um Mar …, Lissabon 2014, auch auf französisch (werde mich darum kümmern)